Neuer Lack für die altehrwürdige Maschine "Viktoriaviertel"

Keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser. Hier sitzt kein realitätsferner Hardcorehipster, der die Rathausgasse in ein historistisch-kitschiges Disneyland umbauen will. Wir wollen mit diesem Artikel und Bild einfach mal anfangen, dem Viktoriaviertel über den tagespolitischen Tellerrand der Alternativlosigkeit zu verhelfen.

Wir haben uns gefragt: ist die Bausubstanz im Viktoriaviertel wirklich von Grund auf böse und hässlich - eine Schmuddelecke, ein Schandfleck fürs Rheinland? Oder sind wir in Bonn vielleicht nur ein bisschen ideenlos, wie wir in Bonn mit unserer Bausubstanz umgehen wollen?

Alternativlosigkeit - so viel steht fest - ist niemals hilfreich. Deshalb haben wir versucht, mit Hilfe von altem Archivmaterial ein Alternativbild vom Viertel zu zeichnen. Das Resultat sehen Sie oben. Wie gesagt: es ist kein "Bauvorschlag", sondern ein Experiment. Um daran zu erinnern, dass es eigentlich unzählige Möglichkeiten gibt, Bonn zu gestalten. In einer Weise, mit der wir als Bürgerinnen und Bürger für unsere Stadt Lebensqualität erzeugen können.

Zum Hintergrund:

Das Viktoriaviertel wurde – wie der größte Teil des historischen Bonner Zentrums – 1944 durch den Zweiten Weltkrieg zerstört. Die meisten der heutigen Gebäude im Viktoriaviertel sind Produkte der 1950er- und 1960er-Jahre. Trotz der Zerstörung gibt es aber eine bis heute intakte Nutzungstradition im Viertel, die es schon seit dem späten Mittelalter gibt. Im Erdgeschoss: kleinteiliger, selbständiger(!) Einzelhandel, Handwerk und von Bonner Bürgern betriebene Gaststätten. In den Obergeschossen: bezahlbarer Wohnraum für Innenstadtbevölkerung und Studenten. Heißt also: die "Maschine Viktoriaviertel" ist schon 700 Jahre alt, aber funktioniert bis heute. Und schreibt (Stand: 2016) für die Stadt Bonn immernoch schwarze Zahlen. Das Problem nur: der Lack ist in weiten Teilen abgeplatzt, und deshalb sieht alles etwas verlottert aus.

Auch wenn man vom alten Bonn heute nicht mehr viel sieht, sind die Archive voll mit wertvollen Dokumenten des alten Bönnschen Alltags. Es gibt so z.B. noch eine alte Zeichnung von einem Herrn W. Schirmer, die die Bonner Rathausgasse anno 1934 zeigt (Original s. unten). Eine Zeichnung, die meines Erachtens einen rheinisch-dörflich-gemütlichen Flair eingefangen hat, der inzwischen im Bonner Zentrum selten geworden ist.

Wir haben kurzerhand mal per Computer die Dächer der alten Rathausgasse auf die Häuser der heutigen Rathausgasse gesetzt. Und digital alles ein bisschen schön gemacht; ein bisschen die Wandfarben aufgefrischt und ein bisschen Wein gepflanzt. Ein gezimmerter Fachwerk-Erker hier, ein bisschen hübsche Wanddeko da. Und haben uns damit einmal auf die Ideensuche gemacht, wie man in der heutigen Zeit die (beeindruckend lange) Geschichte Bonns in das Stadtbild integrieren könnte. Im Sinne eines neuen Lebensgefühls für die Bonner Innenstadt, und nicht als ernst-originalgetreue Reproduktion einer vermeintlich "besseren" Vergangenheit.

Will also heißen:

Bitte auch mal über den Tellerrand gucken! Unliebsame Gebäude kann man auch "putzen und benutzen" (Zitat: Werkstatt Baukultur Bonn), anstatt sie sofort abzureißen, nur weil gerade im Moment irgendwas nicht ganz rund läuft. Das gilt besonders, wenn man als Stadt knapp bei Kasse ist. (Hallo Bonn!) Und wenn es sich um ein Viertel handelt, das finanziell funktioniert. Ein Bauer wirft ja schließlich seinen ehrwürdigen Traktor auch nicht auf den Müll, wenn an ein paar Stellen der Lack abplatzt. Es gibt unzählige Möglichkeiten, in die Jahre gekommene Bausubstanz zu veredeln. Man kann sie umwidmen, umnutzen, verändern, anpassen uvm. Auf diesem Wege bleiben bewährte Nutzungstraditionen intakt, es kostet wenig Geld, es stiftet "von unten" Lebensgefühl und schenkt der Stadt auch ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Nichts davon leistet ein Investorenneubau, der in jeder Stadt gleich aussieht und die liebenswerten Eigenheiten Bonns ganz außer Acht lässt.

Wie das Viertel am Ende wirklich aussieht?

Das entscheiden glücklicherweise nicht wir allein, sondern Sie alle. Wenn Sie wollen! Daher bleiben Sie am Ball, wenn die Bürgerbeteiligung im Viktoriaviertel beginnt. Es bleibt spannend.

 

(Zum Vergleich hier die Originalzeichnung vom W. Schirmer, 1934. Quelle: Josef Dietz, Bonner Handwerker und Gewerbetreibende bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, aus "Bonner Geschichtsblätter", Band 15, Bonn 1961.)

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